Arbeiten & IV: «Mit 45 war es Zeit, etwas Neues auszuprobieren»
Auf den begehrten Fensterplatz hat Ignazia Marchese freiwillig verzichtet. Dabei nimmt sie die Aussicht vom 25. Stock des Basler Messeturms trotz ihrer angeborenen Seheinschränkung durchaus wahr. Aber am Fenster ist es ihr zu hell: «Helligkeit ist für meine Augen der grösste Stressfaktor», erklärt die 45-Jährige. Ansonsten deutet nur der PC mit den zwei grossen Bildschirmen auf ihre Sehschwäche hin: «Mit dem Laptop komme ich nicht zurecht. Ich brauche grosse Bildschirme, an denen ich Schriftgrösse, Farbe und Helligkeit einstellen kann.»
Rasche Auffassungsgabe
Nach 22 Jahren begleiteter Arbeit an einem angepassten Arbeitsplatz in der BSB Mikrografie ist das Praktikum im Betrieb ihres Neffen ihre erste Stelle im freien Arbeitsmarkt. «Mit 45 war es Zeit für etwas Neues», sagt Ignazia Marchese. Die Idee kam an einem Familienanlass auf, als Liborio Marchese verkündete, er wolle sich mit einer Speditions- und Transportfirma selbstständig machen. «Meine Schwester meinte, ich sei die perfekte Person für die Buchhaltung, da ich gut mit Zahlen umgehen könne», erinnert sich Ignazia Marchese. Sie aber nahm die Idee zunächst nicht ernst. Anders ihr Neffe: Er lud sie in seine Firma ein und erklärte ihr, wo er Unterstützung brauche. «Nach diesem Besuch wusste ich: Das möchte ich machen.» Und nach drei Wochen Schnuppern war klar, dass die Zusammenarbeit zwischen Tante und Neffe funktioniert. «Jeder hat seinen eigenen Bereich», sagt Ignazia Marchese: «Er kümmert sich um die Disposition, ich um die Administration.» An vier Vormittagen pro Woche bearbeitet sie E-Mails und den Postverkehr, kontrolliert Rechnungen und Lieferscheine. Natürlich habe sie am Anfang Bedenken gehabt, ob sie als Quereinsteigerin dieser Aufgabe gewachsen sei. Aber da sie den Umgang mit Computern durch die Arbeit in der Mikrografie gewohnt ist, hat sie sich rasch an die neue Software gewöhnt. Ausserdem hilft ihr ihre schnelle Auffassungsgabe, die auch ihr Neffe hervorhebt: «Meist muss ich ihr nur einmal erklären, was zu tun ist.»
Gerne möchte der Jungunternehmer seine Tante in der Firma, die mittlerweile fünf Personen beschäftigt und bald ein grösseres Büro im Messeturm beziehen wird, fest anstellen. Vorerst wird das Praktikum um ein halbes Jahr verlängert. In dieser Zeit sollen die nötigen Abklärungen mit dem BSB und der Invalidenversicherung (IV) gemacht werden, damit der Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt reibungslos verläuft.
Ich arbeite gerne mit Ignazia Marchese. Sie nimmt mir Alles im administrativen Bereich ab und ich kann mich ganz auf die Disposition konzentrieren.
Beim BSB arbeiten über 500 Menschen mit IV-Rente. Es gibt passende Jobs in rund 20 verschiedenen Betrieben. Fast 30 Mitarbeitende mit IV-Rente arbeiten bei Partnern im allgemeinen Arbeitsmarkt.
Zusammenfassung in einfacher Sprache
Ignazia Marchese macht ein Praktikum in der Spedition ihres Neffen. Früher arbeitete sie während über 20 Jahren in der BSB Mikrografie. Wegen einer Krankheit sieht sie seit ihrer Geburt sehr schlecht. Ihr gefällt die neue Arbeit in der Spedition. Sie beantwortet E-Mails, öffnet und verschickt Briefe. Sie kontrolliert Rechnungen und Lieferscheine. Das BSB fragt die Invalidenversicherung, ob Frau Marchese weiter bei der Spedition arbeiten kann.