Wo steht die Schweiz, seit sie zur UNO-BRK Ja gesagt hat?
Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel, ist ein führender Wissenschaftler zu den individuellen Rechten und zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen in der Schweiz. Er nimmt Stellung, was in den zehn Jahren nach der Ratifizierung der UNO-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in der Schweiz erreicht wurde und wo grosser Handlungsbedarf besteht.
Warum setzen Sie sich für die Rechte der Menschen mit Behinderung ein?
Beruflich befasse ich mich seit Jahrzehnten mit Grund- und Menschenrechten. Menschen mit Behinderungen sind auf verschiedenen Ebenen in elementarer und schwerwiegender Weise von Beschränkungen dieser Rechte betroffen. Es gibt sehr viele Menschen mit Behinderungen. Auf juristischer Ebene setzen sich in der Schweiz nur wenige Personen für ihre Rechte ein.
Die UNO-BRK wurde von der Schweiz vor 10 Jahren ratifiziert. Was sind die Erfolge?
Die Ratifikation motivierte die Behindertenorganisationen, breiter tätig zu werden, bei privaten Dienstleistungen, im öffentlichen Verkehr, beim Wohnen und Arbeiten sowie etwa bei der Psychiatrie. Alle Lebensbereiche sind betroffen, und die Politik muss diese Themen aufgreifen. Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Wallis haben als erste Kantone mit ihren Behindertenrechtegesetzen die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung kantonal mit Individualrechten verankert. Sie bewegten sich in rechtlicher Hinsicht vorwärts und schufen die notwendigen Rechtsgrundlagen.
Welches sind besondere Hausforderungen?
Man wartete lange Zeit auf das Prüfverfahren des UNO-Ausschusses. Und jetzt, wo der Bericht des Ausschusses vorliegt, lässt sich der Bund nur unwillig darauf ein. Die Bundesverwaltung und das Bundesgericht sind noch zu wenig offen. Ich hoffe, dass der grosse Handlungsbedarf auch hier langsam erkannt wird. Auf Bundesebene steht mit der «Inklusionsinitiative» ein wichtiger Schritt zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung an. Damit könnten die Forderungen der UNO-BRK in die Verfassung transferiert werden und nicht mehr nur im Völkerrecht verankert bleiben – in der Hoffnung, dass es in Zukunft schneller gehen möge.
Gibt es hohe Hindernisse?
Die politischen Rechte und die Teilhabe der Menschen mit Behinderung müssen im gesellschaftlichen Bewusstsein stark verankert sein. Die Behindertenverbände tun gut daran, das entsprechende Bewusstsein zu schaffen, damit auch die Umsetzung der Gesetze mit dem nötigen Tempo erfolgt. Beispielsweise wurde die 20-jährige Frist für die Anpassung des öffentlichen Verkehrs um Jahre verpasst und ist noch längst nicht abgeschlossen – trotz klarer Frist im Bundesgesetz.
Was sind nun die dringendsten Fragen?
Das Wohnen, das Arbeiten und die Bildung müssen weiterentwickelt werden – zum Schutz der Einzelnen und zur Gewährleistung einer inklusiven Gesellschaft. Dies sind sehr anspruchsvolle Themen, die zentrale Lebensbereiche betreffen. Bildung ist die Voraussetzung fürs Arbeiten und das selbstbestimmte Leben. Wir müssen Know-how schaffen, wie inklusive Bildung funktioniert und welche Massnahmen beim Arbeiten und Wohnen nötig sind.
In der Politik braucht es noch mehr Menschen mit Behinderung. Wir zählen auf diejenigen, die dazu in der Lage sind, denn der Alltag von Menschen mit Behinderungen ist an sich oft schon sehr anspruchsvoll. Je mehr Menschen mit Behinderungen in der Öffentlichkeit und in politischen Ämtern präsent sind, desto selbstverständlicher wird ihre Teilhabe.
Können wir allen Menschen mit Behinderungen gerecht werden?
Das Ziel der UN-BRK ist ein klares Ja. Alle Menschen sind sehr verschieden, und die Bandbreite der gesellschaftlich anerkannten Vielfalt hat sich erfreulicherweise stark ausgedehnt. Menschen mit Behinderung müssen dazugehören, ohne Einschränkung. Aber gesellschaftliche Veränderungen erfolgen nur schrittweise. Es braucht also einen langen Atem.
Werden wir den Inklusions-Zustand erreichen?
Wer kein Optimist ist, für den liegt das Glück an einem kleinen Ort. Jeder Mensch kann sich persönlich, im nahen Umfeld, in Vereinen, Verbänden oder auf staatlicher Ebene, für die Teilhabe der Menschen mit Behinderungen einsetzen. Bei wichtigen Themen weiss man regelmässig nicht im Voraus, ob man erfolgreich sein wird. Wir sehen in verschiedenen Kantonen markante Entwicklungen.
Ein anderes Beispiel betrifft die politischen Rechte: Vor zwanzig Jahren hat noch kaum jemand darüber diskutiert, dass viele Menschen mit intellektuellen und psychosozialen Behinderungen über keine politischen Rechte verfügen – heute ist es ein grosses Thema. Ein Kanton, Genf, ist vorangeschritten. Entscheidend ist, dass wir die Menschen, um die es geht, nicht aus den Augen verlieren.
Inklusive Rundgänge zum Jubiläum 10 Jahre UNO-BRK
Das BSB feiert das 10-Jahre-Jubiläum der UNO-BRK mit und bietet am 24. und 31. Mai sowie am 5. und 13. Juni 2024 inklusive Rundgänge an, bei dem Mitarbeitende mit Behinderung Interessierte mit auf eine Tour durch ihre Arbeitswelt nehmen. Das BSB engagiert sich seit sehr vielen Jahren für eine inklusive Gesellschaft, in der Barrieren für Menschen mit Behinderung abgebaut werden. Mit attraktiven Arbeitsplätzen sowie Wohn- und Ausbildungsangebote sollen die Eigenverantwortung und Partizipation gestärkt werden, um persönliche Wünsche selbst zu verwirklichen. Patrica von Falkenstein ist Botschafterin für die BSB-Rundgänge.
Zusammenfassung in einfacher Sprache
Markus Schefer ist ein Professor an der Universität in Basel. Herr Schefer ist Experte für die Rechte von Menschen mit Behinderung. Er sagt: Die UNO-BRK (siehe unten) hilft, sich über die Rechte und Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu informieren. Es braucht aber mehr Gesetze in der Schweiz, damit alle Menschen die Regeln der UN-BRK befolgen. Herr Schefer meint: Die Gesellschaft kann sich verändern. Es braucht viel Geduld.
Was bedeutet UNO-BRK (in einfacher Sprache) ?
Die UNO-Behinderten-Rechts-Konvention will die gleichen Rechte für Menschen mit Behinderung. Die Schweiz hat diese Vereinbarung im Jahr 2014 unterschrieben. Es haben über 180 andere Länder unterschrieben. 50 Artikel beschreiben die Rechte für Menschen mit Behinderung. Vom 15. Mai bis 15 Juni 2024 feiert die Schweiz das 10-jährige Jubiläum mit Aktions-Tagen. Das BSB feiert mit und führt an vier Tagen inlusive Rundgänge druch
Die Vereinbarung hat drei Haupt-Ziele:
Gleichstellung
Alle Menschen haben die gleichen Rechte und die gleichen Möglichkeiten. Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung.
Zugänglichkeit
Alle Menschen haben Zugang zu allen öffentlichen Orten. Sie sollen auch Zugang haben zu Informationen. Informationen müssen verständlich sein. So sind sie beispielsweise in einfacher Sprache verständlicher.
Teilhabe
Alle Menschen mit Behinderung können an der Gesellschaft teilhaben. Sie können ihre Fähigkeiten, Wünsche und Bedürfnisse einbringen.
Wer ist der UNO-Ausschuss?
Der UNO-Ausschuss kontrolliert, ob die Länder diese Regeln befolgen. Der UNO-Ausschuss ist eine Gruppe von 18 Menschen mit und ohne Behinderung. Professor Markus Schefer ist seit Januar 2019 Mitglied des UNO-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Im Jahr 2022 hat der UNO-Ausschuss gemerkt: Die Schweiz verletzt oft die Rechte von Menschen mit Behinderung.